Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zum Rotwild (Cervus elaphus L.)
Im Oktober 2015 hat das Kompetenzzentrum Wald und Forstwirtschaft bei Sachsenforst gemeinsam mit der Professur für Forstzoologie der Technischen Universität (TU) Dresden ein zunächst auf drei Jahre angelegtes Rotwildprojekt initiiert. Zu Beginn des Jahres 2016 begann die Umsetzung in den vier Projektgebieten im Erzgebirge und in der Sächsischen Schweiz. Auf den folgenden Seiten können Sie sich zu den Motiven, wissenschaftlichen Grundlagen und dem Stand des Projektes informieren:
Das Projektteam der Technischen Universität Dresden (TUD) und des Staatsbetriebes Sachsenforst (SBS): Peter Prölß (TUD), Marcel Thomae (SBS) (1. Reihe, v.L.), Prof. Dr. Mechthild Roth (TUD), Vendula Meißner-Hylanová (TUD), Dr. Dirk-Roger Eisenhauer (SBS), Dr. Franziska Bandau (SBS), Ute Tröber (SBS) (2. Reihe, v.L.), Paul Lewetzky (TUD), David Herold (Revierleiter, SBS), Dr. Norman Stier (TUD), Klaus Polaczek (SBS), Veit Müller (TUD) (3. Reihe, v.L.) (Foto: T. Striffler, Sachsenforst).
Die sächsischen Wälder beherbergen eine arten- und individuenreiche Lebensgemeinschaft. Auch der größte wildlebende Pflanzenfresser Deutschlands, der Rothirsch, zieht hier seine Fährte. Wie jede andere Art steht das Rotwild in einem engen Wirkungsgefüge mit seiner Umwelt. Die Regulationsmechanismen, die über Jahrtausende immer wieder zu einem ausgewogenen, quasi stabilen Gleichgewicht zwischen dem Rotwild („Rothirsch“) und seiner Umwelt geführt haben (Koevolution), sind in der Kulturlandschaft weitestgehend außer Kraft gesetzt. Es sind die verschiedensten Nutzungsansprüche des Menschen an die Landschaft, die zu dieser Situation geführt haben.
Dementsprechend sind auch so genannte Wald-Wild-Konflikte, wie auch die zwischen Rotwild und Rotwildumwelt, in ihrem Kern Konflikte zwischen Menschen.
Das Erzgebirge ist vielerorts gekennzeichnet durch standortsfremde Fichtenmonokulturen. Was manchem zunächst vertraut erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung als höchst störanfällig. Stürme, Borkenkäfer oder Nassschnee haben diesen Forsten immer zu schaffen gemacht – der Klimawandel verschärft diesen Trend zusätzlich.
Deshalb betreiben die Mitarbeiter von Sachsenforst gemeinsam mit privaten Unternehmen im sächsischen Staatswald seit mehr als zwanzig Jahren in einem großen Teil der dafür geeigneten Fichten- und Kiefernreinbestände aktiven Waldumbau und pflanzen bzw. säen Baumarten wie Rotbuche, Weißtanne oder Bergahorn im Gebirge, Eiche, Hainbuche und Linde in den tieferen Lagen. Diese Baumarten entsprechen den herrschenden standörtlichen Bedingungen (insbesondere Boden und Klima) wesentlich besser.
So nähert Sachsenforst diese Reinbestände der Vielfalt von Waldlebensgemeinschaften an, denen eine weitaus größere Fähigkeit zu Selbstregulation innewohnt. Die Folge ist auch ein höheres Widerstandspotenzial solcher Kulturwälder gegenüber den Einwirkungen von Sturm, Schnee, Insekten und Pilzen sowie eine größere Anpassungsfähigkeit an den realen Klimawandel. Mit dieser Entwicklung verändert sich auch die Struktur der Wälder. Das Ergebnis sollen Mischwälder sein, in denen stetig unter älteren junge Bäume aufwachsen.
Das Risiko von großen, für relativ lange Zeit „waldleeren“ Kalamitätsflächen (man erinnere sich an die großflächig abgestorbenen Bäume auf dem Erzgebirgskamm in den 70iger und 80er Jahren oder die Wirkungen von Orkanen in der jüngeren Vergangenheit), die der Erholung, dem Naturerleben, dem Schutz vor Hochwasser oder der Produktion von hochwertigem Trinkwasser entgegenstehen, soll deutlich verringert werden. Für eine dauerhafte Risiko- und Schadensbegrenzung sind standortgerechte Bergmischwälder alternativlos.
Der Waldumbau heute ist notwendige Vorsorge für morgen. Diese Entwicklung darf nicht zum Erliegen kommen, weil sie unmittelbar und mittelbar die Lebensgrundlagen der überwiegenden Mehrheit der sächsischen Bevölkerung betrifft.
Im Gegensatz zum für Sachsen notwendigen Aufbau von Mischwäldern zeigen die regionalen Ergebnisse einer periodisch wiederholten Inventur im Staatswald (nur dort wird diese noch durchgeführt) einen zunehmend starken Einfluss insbesondere des Rotwildes auf die Lebensgemeinschaft Wald. Der Nahrungsbedarf der Tiere vor allem im Winter führt teilweise zum massiven Verbiss der Leittriebe junger Bäume. Damit verschwinden zahlreiche Mischbaumarten; wichtige Waldfunktionen (Nutz-, Schutz und Erholungsfunktionen) können daraufhin durch die folgende Waldgeneration nicht mehr erfüllt werden.
Das Schälen der Baumrinde öffnet Eintrittspforten für Holz zersetzende Pilze. Die Fäule schränkt die vielfältige Verwendbarkeit von Holz als faszinierenden Rohstoff drastisch ein. Zurück bleiben dauerhaft instabile Bestände. Wirtschaftliche Verluste verringern im Staatswald die Möglichkeiten von Reinvestitionen in die Erneuerung von vielfältigen Waldlebensgemeinschaften.
Ursache für diesen negativen Trend ist wahrscheinlich eine zu große Rotwildpopulation in Verbindung mit einer ungünstigen Populationsstruktur (Geschlechter- und Altersverhältnis) und Raumnutzung. Der Einfluss weiterer Faktoren, die das Verhalten des Rotwildes negativ beeinflussen und so die Nutzbarkeit seines Lebensraumes einschränken, muss für Regionen des Erzgebirges mit unterschiedlichen Lebensraumstrukturen spezifiziert werden. Dabei geht es um die Wirkungen von verschiedenen Methoden der Jagdausübung, der Erholungsnutzung von Wäldern, aber auch unterschiedlichen Ausprägungen von Forst- und Landwirtschaft.
Ziele für ein angepasstes Rotwildmanagement im Staatswald sind:
- Eine Populationsgröße, die keinesfalls über der Nahrungskapazität des Waldes als Winterlebensraum liegen darf
- Eine Populationsstruktur, die eine Verteilung des Rotwildes fördert und damit die Bildung von großen Rudeln einschränkt
- relativ geringe Jungwildanteile verbunden mit der Verringerung des Nahrungsbedarfs
- eine weiträumige und zeitlich wechselnde Nutzung des Lebensraumes sowie
- ein weitgehend ungestörter Wechsel zwischen Deckungs- und Nahrungslebensraum.
Um für den Landeswald (13% der Jagdfläche des Freistaates) ein ganzheitliches auf Fakten aufbauendes Rotwildmanagement als wissensbasierte Gesprächsplattform mit den Jägern in den privaten Eigenjagdbezirken und gemeinschaftlichen Jagdbezirken (87% der Jagdfläche des Freistaates) entwickeln zu können, hat das Kompetenzzentrum für Wald und Forstwirtschaft bei Sachsenforst gemeinsam mit der Professur für Forstzoologie (AG Wildtierökologie) der Technischen Universität Dresden im Oktober 2015 ein Forschungsprojekt zu diesem Themenkomplex initiiert. Hierbei soll die aktuelle Situation erfasst, Empfehlungen für die jagdliche Regulation der Rotwildpopulation abgeleitet und Lösungswege für eine Lenkung der Lebensraumnutzung durch das Rotwild aufgezeigt werden. Dafür werden vom 1. April 2016 bis zum 30. Juni 2019 mehrere thematische Schwerpunkte bearbeitet und deren Ergebnisse als Grundlage für ein regional differenziertes Rotwildmanagement zusammengeführt:
- Populationsökologie (Populationsgröße, Populationsstruktur – Altersstruktur, Geschlechterverhältnis, genetische Struktur; Raumnutzung, Zu- und Abwanderung, Vermehrungspotenzial)
- Wirkungen des Rotwildes auf die Waldvegetation in Bezug zu den Zielen für den Landeswald
- Analyse der Lebensraumstruktur
- Regulation der Populationsgröße, Populationsstruktur und relativen Populationsdichte, wildtierökologische und waldbauliche Raumplanung, Lenkung der Lebensraumnutzung
- Informations- und Wissenstransfer
Objektiv und repräsentativ erhobene Fakten, ihre Analyse entsprechend wissenschaftlicher Standards, klar definierte und transparent dargestellte Ziele, eine darauf aufbauende, kontinuierliche Kommunikation mit allen betroffenen Interessengruppen und nicht zuletzt widerspruchsfreies Handeln aller unmittelbaren Akteure, sind die Grundlagen für ein langfristig erfolgreiches, ganzheitliches Rotwildmanagement. Ein derartiges Rotwildmanagement ist wildtierökologisch begründet, basiert auf den Zielen für die Bewirtschaftung des Landeswaldes, die durch das Wald-, Naturschutz- und Jagdgesetz des Freistaates Sachsen vorgeben sind und berücksichtigt ausgewogen weitere Nutzungsansprüche an den Lebensraum des Rotwildes.